5.8. Der Satz von Bolzano-Weierstraß
Ist g Grenzwert einer Folge, so müssen definitionsgemäß in jeder
-Umgebung von g unendlich viele Folgenglieder liegen, allerdings in einer speziellen Form, nämlich alle von einem an aufwärts! Läßt man diese spezielle Bedingung fallen, so erhält man ein schwächeres, dem Grenzwertbegriff nahestehendes Konzept.
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Definition: Es sei eine Folge und .
x heißt Häufungspunkt von ,
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[5.8.1] |
falls in jeder -Umgebung von x unendlich viele Folgenglieder liegen.
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Im deutlichen Unterschied zum Grenzwertbegriff kann man bei Häufungspunkten allerdings nicht mehr die Eindeutigkeit garantieren. So hat z.B. die Folge zwei Häufungspunkte, denn in jeder
-Umgebung von 1 liegen unendlich viele Folgenglieder (nämlich alle mit geradem Index), ebenso aber liegen auch in jeder
-Umgebung von unendlich viele Folgenglieder.
Natürlich gibt es auch Folgen ohne Häufungspunkte, wie etwa .
Mit Hilfe des folgenden Begriffs lassen sich Häufungspunkte auch als Grenzwerte geeigneter Folgen beschreiben.
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Definition: sei irgendeine Folge (nicht notwendig in ). Ist
eine streng monoton wachsende Folge in , so nennen wir die Folge
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[5.8.2] |
eine Teilfolge von .
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Beachte:
Die strenge Monotonie von garantiert, dass durch eine Teilfolge unendliche viele Folgenglieder in fortlaufender Weise ausgewählt werden.
Ferner zeigt eine leichte Induktionsüberlegung:
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[5.8.3] |
-
ist eine Teilfolge von . Dieses Beispiel zeigt, dass divergente Folgen durchaus konvergente Teilfolgen besitzen können.
Auf Grund der nachfolgenden Bemerkung jedoch können nicht alle Teilfolgen konvergent sein.
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Bemerkung:
für jede Teilfolge
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[5.8.4] |
Beweis:
"": Sei eine beliebige Teilfolge. Zunächst gibt es zu ein , so dass
.
Nach [5.8.3] gilt dies erst recht für alle und insbesondere für alle . Wegen der Monotonie von gilt daher:
.
"": ist Teilfolge von sich selbst, also nach Voraussetzung konvergent gegen g.
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Häufungspunkte sind Objekte der Konvergenztheorie. Die folgende Bemerkung präzisiert diese Aussage.
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Bemerkung:
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x ist Häufungspunkt von |
es gibt eine Teilfolge , so dass
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[5.8.5] |
Beweis:
"": Wir konstruieren rekursiv eine streng monoton wachsende Folge , so dass
.
Mit dem Schachtelsatz [5.5.8] ergibt sich daraus , also die Behauptung. Nun zur Konstruktion:
-
Wir setzen
-
und betrachten für die Menge . Da in jeder Umgebung von x unendlich viele Folgenglieder liegen, ist . Für
hat man dann: d.h. und , ist also streng monoton wachsend und es gilt die Abschätzung
"": Hat man etwa , so liegen in jeder -Umgebung von x unendlich viele Folgenglieder von . Das sind gleichzeitig aber auch unendliche viele Folgenglieder von
.
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Über die Existenz von Häufungspunkten reeller Zahlenfolgen gibt das folgende Kriterium Auskunft.
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Satz (Satz von Bolzano-Weierstraß): Für jede Folge
in gilt:
Ist beschränkt, so besitzt mindestens einen Häufungspunkt.
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[5.8.6] |
Beweis: Wir setzen zweimal das
Vollständigkeitsaxiom
i  |
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Jede nicht-leere, beschränkte Teilmmenge von besitzt eine größte untere Schranke, ihr Infimum, und eine kleinste obere Schranke, ihr Supremum.
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ein.
Da beschränkt ist, ist für jedes die Menge eine beschränkte, nicht-leere Teilmenge von . Wir setzen nun
.
Weil , ist jede untere Schranke von auch eine untere Schranke von . Insbesondere kommt daher das Infimum unter den unteren Schranken von vor. Damit aber hat man , d.h. ist monoton wachsend. Außerdem ist wegen
i  |
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ist beschränkt!
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die Folge beschränkt, die Menge also eine beschränkte, nicht-leere Teilmenge von . Wir nutzen noch einmal das Vollständigkeitsaxiom und setzen
.
Wir zeigen jetzt: x ist ein Häufungspunkt von . Nach [5.8.5] reicht es dazu, eine streng monoton wachsende Folge
zu konstruieren, so dass
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[0]
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Dabei gehen wir rekursiv vor:
-
-
Für kann keine obere Schranke von sein, denn x ist ja die kleinste dieser Schranken, muss also von mindestens einem übertroffen werden:
.
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[1]
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Wegen der Monotonie von dürfen wir dabei ohne Einschränkung annehmen.
Analog ist keine untere Schranke von , es gibt also ein , so dass
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[2]
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Nach [1] und [2] gilt nun für die so gewonnene Folge
(man beachte, dass eine untere Schranke von ist):
Unser Ziel [0] ist also erreicht.
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Der Satz von Bolzano-Weierstraß hat weiter gehende Konsequenzen. Zunächst können wir unter den beschränkten Folgen die konvergenten eindeutig charakterisieren.
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Bemerkung: Für eine beliebige reelle Folge gilt:
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ist konvergent
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ist beschränkt und besitzt genau einen Häufungspunkt |
[5.8.7] |
Beweis:
"": Ist etwa , so weiß man: ist beschränkt (siehe [5.5.1]) und in jeder -Umgebung von g liegen unendlich viele Folgenglieder, g ist also Häufungspunkt, und zwar der einzige. Ist nämlich ein weiterer Häufungspunkt, so erhält man für die folgenden widersprüchlichen Aussagen:
-
In liegen unendlich viele Folgenglieder.
-
In fehlen höchstens endlich viele Folgenglieder.
-
, denn ist der halbe Abstand zwischen x und g.
"": Sei g der einzige Häufungspunkt von . Wir zeigen und geben uns dazu eine beliebige -Umgebung vor. Zu finden ist nun ein , so dass
Angenommen, ein solches ist nicht zu finden. Mit gibt es dann (rekursiv) zu jedem n ein
derart, dass in fehlt.
Die so entstandene Teilfolge ist, wie auch, beschränkt, besitzt also nach dem Satz von Bolzano-Weierstraß einen Häufungspunkt x.
Da in überhaupt keine Folgenglieder von liegen, ist . Andererseits ist x auch Häufungspunkt von , also hat man wegen der Einzigkeit: . Widerspruch!
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Beachte:
Auf die Beschränktheit kann man in [5.8.7] nicht verzichten. So besitzt etwa die divergente Folge nur einen Häufungspunkt.
Eine weitere Anwendung des Satzes von Bolzano-Weierstraß führt zu einem neuen Konvergenzkriterium. Wir wissen bereits (siehe [5.5.7]), dass bei konvergenten Folgen der Abstand der Folgenglieder unter einander um so kleiner wird, je größer der Folgenindex ist. Interessanterweise ist bei reellen Zahlenfolge auch die Umkehrung dieser Aussage gültig.
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Satz (Cauchy-Kriterium): Es sei eine Folge in . Gibt es zu jedem ein , so dass
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[5.8.8] |
so ist konvergent.
Beweis: Zunächst ist beschränkt, denn nach Voraussetzung gibt es zu 1 ein , so dass
Folgt: für alle n.
Nach Bolzano-Weierstraß besitzt daher einen Häufungspunkt g. Wir zeigen jetzt: und geben dazu ein vor. Auf Grund der Cauchy-Bedingung [5.8.8] gibt es ein , so dass
Da in jeder Umgebung von g unendlich viele Folgenglieder liegen, gibt es auch ein derart, dass
Damit hat man aber für alle
.
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Beachte:
Das Cauchy-Kriterium [5.8.8] zitiert man oft in der Form:
Jede Cauchy-Folge in ist konvergent.
Das Cauchy-Kriterium garantiert zwar die Existenz eines Grenzwerts, gibt aber keine Auskunft über seinen Wert.
Der Satz von Bolzano-Weierstraß ist mit seinen Folgerungen an die reellen Zahlen, genauer: an das Vollständigkeitsaxiom, gebunden. In etwa geht seine Gültigkeit verloren.
Der Algorithmus des Babylonischen Wurzelziehens etwa (vgl. [5.7.11]) benutzt eine beschränkte rationale Folge, die das Cauchy-Kriterium erfüllt und dennoch keinen Häufungspunkt, geschweige denn einen Grenzwert besitzt.
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